Präsident Franz Xaver Peteranderl
Handwerkskammer für München und Oberbayern

Hohe Inflation drückt Handwerk erneut ins MinusPeteranderl: "Heftiger Auftragseinbruch im Wohnungsbau bereitet große Sorgen"

11. August 2023

Parallel zur Gesamtwirtschaft verdüstert sich auch das konjunkturelle Umfeld im Handwerk. So sind beispielsweise im bayerischen Bauhauptgewerbe in den ersten 5 Monaten des Jahres die Auftragseingänge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum real um rund 12 Prozent gesunken. Die Zahl der Baugenehmigungen blieb bis zum Halbjahr um ca. 30 Prozent hinter dem Wert aus dem Vorjahr zurück. „Die Bundesregierung muss jetzt gegensteuern, damit sich der momentane Abwärtstrend nicht weiter verstärkt“, fordert Franz Xaver Peteranderl, Präsident des Bayerischen Handwerkstages (BHT): „Wir brauchen vor allem Anreize für gewerbliche Investoren und private Bauherren sowie eine Wiedereinführung der degressiven AfA. Der Bund muss die energetische Neubauförderung deutlich erhöhen. Temporär könnte es auch sinnvoll sein, wieder EH 55 zu fördern und nicht nur EH 40. Zudem braucht es dringend steuerpolitische Anreize wie z.B. die Senkung bzw. Aussetzung der Grunderwerbsteuer, um die Baukonjunktur wieder anzukurbeln. Denkbar ist auch ein reduzierter Mehrwertsteuersatz auf Bauleistungen mit Rückerstattung durch das Finanzamt.“

Trotz der derzeit schwierigen Lage war die Stimmung im bayerischen Handwerk im 2. Quartal 2023 noch vergleichsweise freundlich: 46 Prozent der befragten Unternehmen meldeten eine gute, 39 Prozent eine befriedigende Geschäftslage. In Summe ist das 1 Punkt weniger als im Vorjahreszeitraum. Vor allem im Bauhauptgewerbe fielen die Einschätzungen schlechter aus als im Vorjahr (minus 7 Punkte). Dagegen zeigten sich 90 Prozent der Befragten im Kfz-Handwerk mindestens zufrieden (plus 5 Punkte). Die schwächelnde Konjunktur macht sich vor allem auch bei der Auftragslage bemerkbar: Obwohl im Frühjahr normalerweise eine saisonale Belebung einsetzt, registrierten 30 Prozent der befragten Betriebe weniger Aufträge als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres (plus 8 Punkte). Besonders stark betroffen waren das Bauhauptgewerbe und die Gesundheitshandwerke.

Die betriebliche Auslastung im bayerischen Handwerk verharrte im Berichtszeitraum unverändert bei durchschnittlich 81 Prozent. Der Auftragsbestand im Bauhauptgewerbe reduzierte sich bis Ende Juni im Vorjahresvergleich von 16 auf 12,2 Wochen und im Ausbauhandwerk von 14,1 auf 12,7 Wochen. Im gesamten bayerischen Handwerk sank der durchschnittliche Auftragsbestand um 1,5 auf nunmehr 9,7 Wochen. „Der heftige Auftragseinbruch im Wohnungsbau bereitet uns große Sorgen. Noch ist nicht klar, wie stark der Rücksetzer ausfallen wird und ob weiteres Personal abgebaut werden muss“, sagt der BHT-Präsident.

Dagegen schwächt sich die Dynamik bei den Preisen weiter ab: Vor einem Jahr meldeten 88 Prozent der Befragten im bayerischen Handwerk gestiegene Einkaufspreise, in der aktuellen Umfrage waren es noch 49 Prozent. Hatten vor Jahresfrist noch 59 Prozent der Betriebe ihre Preise erhöht, waren es im 2. Quartal 2023 nur noch 30 Prozent. Die hohen Kosten und die dadurch nötigen Preisanpassungen lassen die Umsätze weiter klettern. Peteranderl: „Wir schätzen, dass in der ersten Jahreshälfte ca. 71,1 Milliarden Euro im bayerischen Handwerk umgesetzt wurden, ein Plus von 10,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Nach Abzug der Preissteigerungen verbleibt unterm Strich allerdings ein reales Minus von 0,7 Prozent.“

Die Beschäftigungsentwicklung in Bayerns Handwerksbetrieben verlief im 2. Quartal einmal mehr unbefriedigend: 10 Prozent konnten ihre Belegschaft aufstocken (minus 1 Punkt gegenüber dem Vorjahreszeitraum), während 15 Prozent mit weniger Personal auskommen mussten (plus 1 Punkt). Nach ersten Schätzungen waren Ende Juni rund 940.400 Personen im bayerischen Handwerk tätig. Dies entspricht einem Rückgang von 0,8 Prozent. Stabil zeigt sich das bayerische Handwerk weiterhin bei den Investitionen: 38 Prozent der befragten Betriebe investierten im 2. Quartal in neue Gebäude, Maschinen und Fahrzeuge. Das ist 1 Punkt mehr als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres.

In den kommenden Monaten gehen 8 Prozent der befragten Betriebe von einer verbesserten und 74 Prozent von einer gleichbleibenden Geschäftsentwicklung aus. Dies ist in Summe ein Plus von 1 Punkt gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Handwerksbetriebe im Freistaat lag zur Jahresmitte bei 207.800. Das sind 0,5 Prozent weniger als noch vor einem Jahr. „Für das Gesamtjahr ist ein nominales Umsatzplus von rund 7 Prozent möglich. Da sich die Inflation aber nur langsam abschwächt, rechnen wir unterm Strich mit einem realen Minus von etwa 1 Prozent. Die Beschäftigung wird wohl leider auch im dritten Jahr in Folge sinken“, berichtet Peteranderl.

Der BHT-Präsident weist darauf hin, dass steigende Lohnzusatzkosten die Wettbewerbsfähigkeit der Handwerksbetriebe immer stärker gefährden: „Durch den demografischen Wandel drohen in den umlagefinanzierten Sozialversicherungszweigen kräftige Beitragssteigerungen. Um die Sozialversicherungsbeiträge wieder dauerhaft unter 40 Prozent zu drücken und Beschäftigung attraktiver zu machen, sind durchgreifende Strukturreformen mit einer Beschränkung auf das Notwendige und Finanzierbare sowie eine Stärkung der privaten Eigenverantwortung und -vorsorge im Sozialsystem erforderlich. Gerade in der anhaltenden Konjunkturschwächephase muss unseren Betrieben der Rücken gestärkt und zugleich eine Überforderung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch zu hohe Sozialabgaben verhindert werden.“

Für die anstehende Landtagswahl hat der BHT Wahlprüfsteine beschlossen, aus denen sich folgende Leitlinien für eine handwerksfreundliche Politik ableiten:

•            Die Berufsorientierung muss an allen allgemeinbildenden bayerischen Schulen weiter ausgebaut werden. Gerade über die Chancen der beruflichen Bildung muss ausführlich informiert werden.

•            Die Bildungszentren des Handwerks und die Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung (ÜLU) müssen stets auf dem modernsten Stand gehalten und sachgerecht gefördert werden.

•            Der Berufsschulunterricht muss flächendeckend und in Fachklassen gesichert werden.

•            Die Digitalisierung im Handwerk muss gezielt gefördert und durch den lückenlosen Ausbau einer modernen Kommunikationsinfrastruktur unterstützt werden.

•            Um ein breites Stromangebot, Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähige Strompreise sicherzustellen, müssen alle Möglichkeiten technologieoffen und ideologiefrei genutzt werden.

•            Maßnahmen zur effizienten und sparsamen Energieverwendung bei privaten und gewerblichen Verbrauchern müssen gezielt und ausreichend gefördert werden.

•            Da Handwerkerinnen und Handwerker auf ihre Fahrzeuge angewiesen sind, muss der Wirtschaftsverkehr fließen können. Verkehrsbeschränkungen, Fahrverbote und Bemautungen müssen daher vermieden werden.

•            Die Attraktivität des ÖPNV muss massiv gesteigert werden, um möglichst vielen Individualverkehrsnutzern Anreize zum Umstieg zu bieten.

•            Ein bedarfsgerechter und strukturell ausgewogener Wohnungsbau muss durch die Ausweisung ausreichender Flächen und eine sachgerechte Förderpolitik ermöglicht werden.

•            Gewerbeflächen müssen weiterhin in ausreichender Anzahl und handwerksgerecht parzelliert ausgewiesen werden. Dabei müssen auch zukünftige betriebliche Entwicklungsmöglichkeiten beachtet werden.

•            Bürokratieabbau und -verhinderung müssen bei allen politischen Vorhaben berücksichtigt werden.

BHT-Hauptgeschäftsführer Dr. Frank Hüpers berichtete von einer positiven Lage auf dem Lehrstellenmarkt: „Bis Ende Juli konnten die Handwerkskammern in Bayern rund 15.200 neue Lehrverträge registrieren. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Plus von 1,6 Prozent.“ Ein überaus positives Fazit zog Hüpers für den „Tag des Handwerks“, der im vergangenen Schuljahr für alle allgemeinbildenden weiterführenden Schulen in Bayern verpflichtend war. Hüpers: „Von Schulseite wie auch von den Jugendlichen selbst, haben wir viel positives Feedback bekommen. Die Zusammenarbeit war sehr gut und konstruktiv; vor allem zu Gymnasien sind viele neue Kontakte entstanden. Gleiches gilt für die Kooperation mit Betrieben, Innungen, Kreishandwerkerschaften etc. Ich bin fest überzeugt, dass wir im kommenden Schuljahr, wenn der Tag des Handwerks erneut stattfindet, davon profitieren werden.“

Beitrag von Alexander Tauscher zur Handwerkskonjunktur:

Dieser Inhalt wird Ihnen aufgrund Ihrer aktuellen Datenschutzeinstellung nicht angezeigt. Bitte stimmen Sie den externen Medien in den Cookie-Einstellungen zu, um den Inhalt sehen zu können.

hwkmuenchen · AUDIOBEITRAG SOMMER KONJUNKTUR IM BAYERISCHEN HANDWERK

Jens Christopher Ulrich

Stabsstellenleiter, Pressesprecher

Telefon 089 5119-122

Fax 089 5119-129

jens-christopher.ulrich--at--hwk-muenchen.de

Alexander Tauscher

Pressesprecher

Telefon 089 5119-120

Fax 089 5119-129

alexander.tauscher--at--hwk-muenchen.de